ZDF und ARD geben der AfD nach den Wahlen in Thüringen und Sachsen Raum. Björn Höcke tut sich damit keinen Gefallen. Mit nüchternen Grafiken machen die Wahlberichterstatter die Probleme der rechtsextremen Partei deutlich.
Die AfD hat Deutschland verändert. Jetzt ist es an der Zeit, dass Deutschland die AfD verändert. Thüringens Spitzenkandidat Björn Höcke ist in den öffentlich-rechtlichen Medien schwer zu vermitteln. Das hat begonnen mit seinem frühen Talkshow-Auftritt anno 2015, als er glaubte, zunächst einmal sehr bemüht ein Deutschland-Fähnlein über seine rechte Sitzlehne ausbreiten zu müssen – um „ein Bekenntnis“ abzulegen. Das war nicht Symbolpolitik. Das war nur Symbol, ganz ohne Politik.
Auch am Abend dieses Wahlsonntags für Sachsen, für Thüringen und letztlich für ganz Deutschland lädt das Fernsehen Höcke ein, sich keinen Gefallen zu tun. Es ist 18.22 Uhr, als der Wahlsieger in Thüringen vor die ARD-Kameras tritt – und das von der ersten Sekunde an auf Krawall gebürstet. Die Souveränität eines Wahlsiegers? Totalausfall.
Es fällt der Standard-Nebensatz, dass die AfD gesichert rechtsextrem sei. „Wollen Sie mich stigmatisieren?“, giftet Höcke. Das sei doch eine Tatsache, bekommt er zu hören. Höcke bleibt aggressiv und spricht vom „dämlichen Brandmauer-Gehabe der Altparteien“. Das Erste reagiert souverän mit einer schnellen Schalte zu Jörg Schönenborn.
ARD-Grafik zeigt Brandmauer in der Gesellschaft
Der Programmdirektor Information, übrigens in Solingen aufgewachsen, ist wieder einmal der Herr über die Zahlen in der ARD – und er schafft diesen Job auch an diesem aufgeregten Wahltag mit der gewohnten Souveränität, sogar als spätnachts während der Talksendung „Miosga“ in seinem Studio Feueralarm ausgelöst wird.
Schönenborn also erklärt die Befindlichkeit im Land Thüringen: Nur 37 Prozent finden eine Beteiligung der AfD an einer Landesregierung „gut“; 60 Prozent der befragten Thüringer finden sie „nicht gut“. Da gibt es eine Brandmauer offensichtlich in der Gesellschaft, nicht nur zu den anderen Parteien. Immer wieder zeigen Fernsehbilder das Schild vor dem Lokal der AfD-Wahlparty in Thüringen. „Geschlossene Gesellschaft“ steht darauf. Die Öffentlichkeit ist ausgeladen.
Es ist bezeichnend für die AfD des Björn Höcke: Sie ist eine Partei, die Wahlen gewinnen kann, aber nicht regieren wird. Und das nicht nur, weil sie auf Alle-gegen-einen-Koalitionen prallt. Auch weil sie zu radikal ist, um von einer Mehrheit gewollt zu werden.
Es wird immer dramatischer - ARD erweist sich als fair
Den Wahlabend hat das ZDF um 17.30 Uhr eröffnet. Zehn Minuten später folgt die ARD. Schon mit der ersten Hochrechnung wird die FDP nur mehr unter „Sonstige“ in den Parteien-Tabellen eingereiht. Das Zweite zeigt Räuchermännchen, die in den Farben der Parteien qualmen. Das Erste startet hochdramatisch: „Ganz Deutschland blickt auf Thüringen“, heißt es gleich zu Beginn. Es folgt: „Ein Abend, der Deutschland verändern könnte“. Wieder fällt das Wort von der „gesichert rechtsextremistischen Partei“. Und so geht es weiter: „Es droht eine historische Niederlage – CDU, SPD und Grüne zittern“.
Genau in dieser Aufgeregtheit tut Jörg Schönenborn gut. Er gibt der AfD mit nüchternen Zahlen eine Chance. „Die AfD“, sagt er, sei „auf dem Weg von der Protestpartei zur Vertrauenspartei“. Gleich fünfmal zeigt er diese Partei in den Zahlen vorne, wenn es um die Kompetenzen geht – und das nicht nur bei „Flüchtlingspolitik“, sondern auch beim Thema „soziale Gerechtigkeit“. Bei der Frage, welche Partei „am ehesten die Interessen der Ostdeutschen“ vertritt, hat die AfD die Linke deutlich überholt – 25 zu 19 Prozent.
Die Protestpartei ist nach den ARD-Zahlen, wie sie Schönenborn vorlegt, eher die CDU. Da sagen 52 Prozent der Befragten in Sachsen und sogar 55 Prozent in Thüringen: „Ich wähle CDU, um mehr Einfluss für die AfD zu verhindern.“ Diese Nüchternheit, diese Zahlen, diese Objektivität: Da ist das Erste absolut fair.
Tino Chrupalla weicht im ZDF den Fragen aus
Das ZDF tut sich mit seiner Schalte zur AfD zunächst schwer. Da ist Bundessprecher Tino Chrupalla in Dresden zunächst nicht zu hören. Erst beim zweiten Versuch kann Bettina Schausten gratulieren: „Ein erfolgreicher Abend für Sie! Was machen Sie jetzt damit?“ Auf die Fragen nach einem Ministerpräsidenten Björn Höcke für Thüringen weicht der Bundessprecher aus. „Wir haben sensationelle Ergebnisse erzielt“, antwortet er, ohne den Namen des Spitzenkandidaten in den Mund zu nehmen.
Wechseln wir zur ARD. „Ein Requiem auf diese Koalition“, macht Alice Weidel bei der Ampel aus. Und die AfD-Bundessprecherin kündigt an: „Wir werden auf die CDU zugehen – der Wählerwille ist klar, er will eine bürgerliche Regierung.“
Wie schwer das sein wird, bekommt der sächsische AfD-Vorsitzende Jörg Urban zu hören. Ihn konfrontiert das Erste mit einer langen Aufzählung, wie viele Verbände von Kirchen bis zur Polizeigewerkschaft vor AfD gewarnt haben „Die Kritiker sind zum großen Teil staatliche Organisationen – da sehe ich Abhängigkeiten“, unterstellt er. Und er fügt hinzu: „Da sehe ich Gefälligkeiten, die man nicht ernst nehmen muss.“
Höcke ist zum Problem für die AfD geworden – das vermitteln die Sender
Später am Abend bemüht sich der von so vielen abgelehnte Björn Höcke dann doch noch einmal: „Meine Hand ist ausgestreckt!“ Die will aber keiner ergreifen. Nicht die von ihm geschmähten „Kartellparteien“. Auch nicht der andere Wahlsieger dieses Sonntags. Klare Absage von BSW-Spitzenkandidatin Katja Wolf. Koalitionsbereitschaft? „Schon gar nicht mit einer AfD, die von Björn Höcke geführt wird.“ Einen Widerspruch zum Wählerwillen sieht sie dabei nicht: „Die Menschen haben die AfD gewählt im klaren Wissen, dass sie keinen Koalitionspartner finden werden.“
Da wird es eng für eine AfD, der niemand die Hand reichen will. Aber die hat sich ja schon oft genug und radikal genug gehäutet. Und dafür sehr bereitwillig ihr Führungspersonal über die Klinge springen lassen. Nur weil es schon fast vergessen ist: Da gab es einen Bernd Lucke, da gab es eine Frauke Petry. Da gab es einen Jörg Meuthen. Da kann auch ein Björn Höcke schnell vergessen sein.
Björn Höcke ist zum Problem der AfD geworden – das ist das Bild, wie es die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender an diesem Wahlabend vermitteln. Da bekommt das Bild vom Schild „Geschlossene Gesellschaft“ vor der Thüringer AfD-Wahlparty Symbolkraft. Das ist bitter für die AfD.
„Robert Habeck ist der Sargnagel für ganze Branchen“
Zumal sich in der „Berliner Runde“ des ZDF schon neue Konkurrenz von rechts warmläuft. „Robert Habeck ist ein Sargnagel“, poltert da CSU-Generalsekretär Martin Huber. Und auf die Frage, ob es denn vernünftig sei, so sehr auf Parteien der Mitte loszugehen, dreht der CSU-Mann erst so richtig hoch: „Die Grünen sind voller Ideologie. Sie stehen für Abschwung. Frau Baerbock blockiert nach wie vor beim Thema Abschiebungen, sie ist eine Gefährdung für die innere Sicherheit in Deutschland.“ Und dann noch einmal im Originalton des CSU-Mannes: „Robert Habeck ist der Sargnagel für ganze Branchen.“
Und so sitze ich an diesem Wahlabend, beende das Fernsehprogramm und greife zu einem Büchlein. Es heißt: „Die Kunst, Recht zu behalten“. Geschrieben ist es vom Philosophen Arthur Schopenhauer, geboren im 18. Jahrhundert. 37 „Kunstgriffe“ empfiehlt der Denker, um sich in Auseinandersetzungen durchzusetzen.
Danach folgt ein letzter, ein verzweifelter „Kunstgriff“: „Wenn man merkt, dass der Gegner überlegen ist und man unrecht behalten wird“, empfiehlt der Philosoph Schopenhauer, „so werde man persönlich, beleidigend, grob.“ Es scheint, als wäre der Schopenhauer mit seiner Verzweiflung an diesem Wahlsonntag hochaktuell im 21. Jahrhundert angekommen.