Waco 1993: Sie glaubten an die Apokalypse und entzündeten sie - WELT (2024)

51 Tage belagerte das FBI die Festung der Branch-Davidians-Sekte im texanischen Waco. Dann begann am 19. April 1993 vor laufenden Kameras der Angriff. Ein Blutbad und Verschwörungstheorien folgten.

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Vernon Wayne Howell (1959-1993) glaubte sich zu Großem bestimmt. Er sah sich als Propheten und Menschenführer. Daher nahm er den Namen David Koresh an, nach dem jüdischen König David und dem altpersischen Weltherrscher Kyros, die beide im Alten Testament als Heilsbringer dargestellt werden. Am Ende hielt er sich womöglich sogar für Jesus Christus, ohne allerdings dessen friedliche Botschaft zu leben. Am 19. April 1993 starb er mit der Waffe in der Hand beim Sturm des FBI auf die Farm seiner Anhänger bei Waco in Texas, nachdem seine Anhänger 51 Tage lang einer Belagerung standgehalten hatten.

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Koresh war der Anführer der Branch Davidians (Davidianischer Ast), einer Splittergruppe der Siebenten-Tags-Adventisten. Gemeinsamer Nenner dieser protestantischen Freikirchen ist die Überzeugung, dass die alttestamentarische Überlieferung, nach der Gott die Welt in sieben Tagen erschaffen hat, ernst genommen werden muss. Da für ihn ein Tag wie tausend Jahre sei, so die kreationistische Folgerung, stehe das Jüngste Gericht kurz bevor oder habe bereits begonnen.

Dieser Chiliasmus war bei den Branch Davidians besonders ausgeprägt, die in den 1950er-Jahren als Abspaltung einer anderen Adventisten-Gruppe entstanden waren und sich auf einer Ranch beim texanischen Waco angesiedelt hatten. 1981 stieß Howell, der sich zuvor als Rockmusiker versucht hatte, zu der Gruppe, bekam eine Offenbarung, nannte sich Koresh und wurde von einem Teil der Branch Davidians als neuer Führer ins Paradies anerkannt.

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Allerdings waren auf dem Weg dorthin gewisse Klassenunterschiede zu beachten. Während die männlichen Mitglieder der Gemeinde zu Enthaltsamkeit verurteilt waren, berichteten Aussteiger von Massenorgien des selbsternannten „Lamm Gottes“, das mit 19 Frauen verheiratet war. Kinder sollen auf der Ranch missbraucht worden sein. Zugleich bauten die bis zu 130 Bewohner den Ort zur Festung aus und legten Lager mit Schnellfeuerwaffen, Munition und Handgranaten an, um für den Weltuntergang praktisch gerüstet zu sein. Nicht umsonst bezeichneten sie ihr Quartier als „Ranch Apokalypse“.

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Durch Aussteiger erfuhren die Behörden vom Treiben auf der Ranch. Schließlich entschloss sich das zuständige Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives (ATF) zu einer Razzia. Obwohl die Vorbereitungen dazu verdeckt betrieben wurden, bekam Koresh Wind von der Sache. Als schließlich die Beamten am 28. Februar 1993 gegen die Ranch vorrückten, empfing sie heftiger Kugelhagel. Vier ATF-Mitarbeiter starben, von den fünf Branch Davidianern, die in den „traumlosen Schlaf“ gefallen waren, sollen mehrere von den eigenen Leuten erschossen worden sein.

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Umgehend begann die Belagerung. Das FBI, das die Leitung der Operation übernommen hatte, zog bis zu 500 Beamte, Panzerfahrzeuge und Helikopter zusammen und kappte alle Verbindungen der Sekte zur Außenwelt. Mit der Methode, die 1989 bereits gegen den Rückzugsort des geflohenen panamesischen Staatschef Manuel Noriega angewandt worden war, wollte man die Eingeschlossenen zermürben. Scheinwerfer und laute Popmusik sollten sie zur Aufgabe bringen.

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Die Taktik war nach dem Beispiel des Jonestown-Massakers 1978 in Guyana in entwickelt worden. Damals hatte der Führer des obskuren Peoples Temple, Jim Jones, mehr als 900 Anhänger mit Waffengewalt gezwungen, Selbstmord zu begehen, nachdem er das Feuer auf eine US-Delegation eröffnet hatte. Auch in Waco ging das FBI davon aus, dass Koresh seine Leute mit Gehirnwäsche und Gewalt hörig gemacht hatte. Dass die Branch Davidians tatsächlich an den nahen Weltuntergang glaubten und in den Polizisten keine Retter, sondern Büttel der apokalyptischen „Hure Babylon“ sahen, kam den Einsatzkräften nicht in den Sinn.

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Hinzu kam die Öffentlichkeit, die Koresh schlagartig eine riesige Bühne für seine missionarische Botschaft eröffnete. Journalisten aus der ganzen Welt strömten nach Waco, Hunderte Katastrophentouristen ebenfalls. In Texas ging die Angst um, dass die Waffengesetze verschärft würden, was den Inhabern einschlägiger Geschäfte Rekordumsätze bescherte.

Koresh nutzte die Gunst der Stunde und setzte bei den Verhandlungen durch, dass ein einstündiges Tonband mit seinen Botschaften im Radio gesendet wurde. Wiederholte Ankündigungen, sie würden aufgeben und die Ranch verlassen, wurden stets widerrufen. Als Koresh schließlich mehr Zeit forderte, um seine Offenbarung zu Papier zu bringen, entschied sich das FBI – nicht zuletzt unter dem Druck der Öffentlichkeit – für den Angriff.

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Panzer sollten die Befestigungen der Ranch durchstoßen, um den Insassen, die man für Geiseln hielt, die Flucht zu ermöglichen. Am 19. April 1993 begann der Sturmangriff. Durch die Löcher in den Hausmauern wurde Tränengas ins Innere geleitet. Doch statt fliehender Menschen bekamen die Zuschauer vor laufenden Kameras Bilder einer Flammenhölle zu sehen. 76 Davidianer starben, darunter auch Koresh, nur neun überlebten.

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Die Toten wurden umgehend zu Märtyrern erklärt, für die Freiheit des Glaubens und den Kampf gegen den totalen Staat – so zumindest deuten noch immer Verschwörungstheoretiker, Rechtsextremisten, Ku-Kluxer, Milizionäre und andere militante Waffenfreunde und christliche Fundamentalisten das Massaker. Mit welchen Folgen, zeigte sich am zweiten Jahrestag des Massakers 1995. Da zündete der Waffenfanatiker Timothy McVeigh im Murrah Federal Building in Oklahoma City eine Bombe, die 168 Menschen tötete. Auch andere radikale Attentäter begründeten ihr Anschläge seitdem mit dem Sturm auf Waco.

Ein Untersuchungsausschuss unter Leitung des ehemaligen republikanischen Senators John Danforth kam nach Sichtung von zwei Millionen Blatt Akten und der Vernehmung von Hunderten Zeugen zu dem Schluss, dass das tödliche Feuer von den Bewohnern der Ranch gelegt worden ist. Auch habe Koresh während des Sturms das Feuer auf die eigenen Leute eröffnet, darunter auch auf Kinder. Mindestens 20 der verkohlten Leichen trugen Schusswunden.

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